… rege Wipfel

03.10.2023

„… rege Wipfel
Des alten, heil’gen dicht belaubten Haines …“

Wer kennt sie nicht, die berühmten ersten Worte von Iphigenie? Die griechische Mythenfigur Iphigenie, die Johann Wolfgang Goethe zur vielbewunderten Hauptperson seines Jugenddramas „Iphigenie auf Tauris“ (1787 erschienen) machte, die als angesehene Diana-Priesterin in den heiligen Hain ihrer Göttin heraustritt, aber dann immer deutlicher merkt, dass sie hier, auf Tauris (die antike Krim), doch Heimweh nach Griechenland hat.

Und so alt der „heilige Hain“ auch ist, der Stoff und die dort vorgeführten Gedanken und Handlungsbeispiele sind so modern – in der deutschen Klassik gedacht, kurz bevor in Frankreich die Revolution tobte -, dass die Lehrer Günter Zloch und Olaf Krischker es sich nicht nehmen ließen, in ihren beiden Deutsch-Leistungskursen (Abi 24) am Albert-Einstein-Gymnasium dieses Werk mit ihren SchülerInnen zu behandeln.

So wurde im letzten Quartal vor den Sommerferien der Text gelesen, auf ein nicht einmal einstündiges Skript reduziert, mit aktuellen Kommentaren versehen und eine kommentierte Lesung im spätbarocken Klostersaal in Wiblingen vorbereitet. Ein würdiger Rahmen, der zur Entstehungszeit des Dramas durchaus passte - die Modernität und Aktualität lieferte die junge Generation sozusagen „frei Haus“ und wurde dafür von großem Applaus der Goethegesellschaft Ulm / Neu-Ulm und den anderen ZuhörerInnen im gut gefüllten Bibliothekssaal belohnt. Joachim Bauer, der als Vorsitzender der Ulmer / Neu-Ulmer Goethegesellschaft eine Veranstaltung an diesem Ort überhaupt erst ermöglicht hatte, würdigte die Leistung der SchülerInnen und hob besonders lobend hervor, dass es sich um eine Lesung mit aktuellen Kommentaren, den Meinungen und Gefühlen der heutigen Generation gehandelt habe.

Wichtig war bei Vorbereitung und Aufführung, dass möglichst viele Jugendliche aus den Deutschkursen aktiv beteiligt waren. So wurde jede Rolle doppelt oder dreifach besetzt, es wurden die Kürzungen im Goethe-Text und die aktuellen Kommentare einvernehmlich beschlossen usw.


Goethes Jugend-Drama „Iphigenie auf Tauris“ (Tauris = Krim) ist erwachsen aus einem klassisch geläuterten frühgriechischen Mythos, in dem eine Frau mit ruhiger Hand überkommene, blutige Traditionen in Menschlichkeit zu verkehren vermag: „Dieses blutigen Beweises / bedarf es nicht, o König! Lasst die Hand / Vom Schwerte! Denkt an mich und mein Geschick. / Der rasche Kampf verewigt einen Mann: / Er falle gleich, so preiset ihn das Lied. / Allein die Tränen, die unendlichen / Der überbliebnen, der verlassnen Frau, / Zählt keine Nachwelt.“ (Iphigenie gegenüber dem Taurier-König Thoas, V. 2064-2071)

Die Oberstufenschülerinnen und -schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums kommentierten während der Lesung geschickt aus dem Publikum heraus die gelesenen Szenen mit aktuellen Bezügen z.B. unter den Themen Stellung und Rolle der Frau, Rationalität und Emotionalität, Flüchtlingsschicksal und Asylrecht, Schuld und Verantwortung, Krieg und Frieden.
Ein insgesamt sehr gut besuchter und erfolgreicher Abend für die Goethe-Gesellschaft und für das Albert-Einstein-Gymnasium – wie hieß es doch gleich nach der Aufführung in Richtung der jungen Darsteller: „Am liebsten würden wir euch jetzt noch eine Stunde zu diesem Schauspiel befragen, weitere Meinungen hören, was ihr darüber denkt!“


Die nächsten, monatlich stattfindenden Veranstaltungen der Goethe-Gesellschaft sind zu finden im überall ausliegenden Flyer oder unter www.goethe-gesellschaft-ulm.jimdofree.com