Über das Erwartbare hinaus

11.10.2020

Bundeswettbewerb Fremdsprachen
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Fremdsprachenwettbewerb
Fremdsprachenwettbewerb
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Fremdsprachenwettbewerb
Fremdsprachenwettbewerb
Fremdsprachenwettbewerb
Fremdsprachenwettbewerb
Fremdsprachenwettbewerb

Wettbewerbe sind etwas Wunderbares. Versteht mich nicht falsch, ich spreche hier nicht von Wettbewerb. Unsere Leistungsgesellschaft ist voller Wettbewerb und kaum irgendwo ist er so verbreitet wie im Schulalltag. Wettbewerb ist nicht immer gerecht und oft auslaugend und es hängt stark von eines gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen ab, sozusagen ob man den Wettbewerb nun als überall, allgegenwärtig, omnipräsent oder gar ubiquitär zu bezeichnen geneigt ist, ob man auch Spaß an ihm hat.

Doch das ist auch gleichzeitig das Tolle an Wettbewerben, denn sie sind freiwillig. Zumindest in der Regel. Die Idee von Freiwilligkeit ist, dass Menschen dazu neigen, mehr positive Energie in etwas zu investieren, wenn sie nicht dazu gezwungen werden, also nicht von fremdem, sondern von persönlichem Interesse angeregt werden, und darum dann auch zu größeren Erfolgen kommen und mehr für sich erreichen. Das ist der Grund, warum sich Menschen seit der Steinzeit professionalisieren und warum wir im Abi Kurse wählen dürfen (wenn auch nur einen Bruchteil). Denn letzten Endes erreichen Menschen, die etwas aus freiwilligem Antrieb tun, vor allem etwas für andere.

Das ist also der Grund, warum es Wettbewerbe gibt. Freiwillig an etwas teilzunehmen bedeutet, Individualität in Form von Begeisterung für eine Idee oder Faszination für eine Besonderheit ausleben zu können. Begeisterung für eine Idee ist inspirierend und energetisierend. Wettbewerbe können das noch besser machen, denn sie bieten die Chance, Beachtung und Anerkennung für die Umsetzung der Idee zu erhalten, was die Wahrscheinlichkeit, die betreffende Idee tatsächlich umzusetzen, extrem erhöht. Am angenehmsten sind freilich von der Schule geförderte Wettbewerbe, da es die Beschäftigung mit dem aufgehalsten Projekt neben dem üblichen Wettbewerb erleichtert.

2016

Meine Klasse—das heißt Teile der b- und e-Klasse—und ich haben so etwas wie einen Hauswettbewerb. Es ist der Bundeswettbewerb Fremdsprachen, ein Wettbewerb des staatlichen Talentförderzentrums Bildung und Begabung, unterstützt von der Kultusministerkonferenz und dem Stifterverband. Die Geschichte beginnt im Sommer 2016. Während der Projekttage schreibt eine Gruppe Schüler ein englisches Theaterstück, eine schlichte, aber originelle und mit Begeisterung vorgetragene Story, die beim Publikum auf positive Aufnahme trifft und bis zu Frau Becker, unser jetzigen Englischlehrerin, durchdringt, die ich damals nur damit verbinde, dass sie in der 5. Klasse fast unsere Klassenlehrerin geworden wäre. Sie nimmt sich des Stücks an und unterbreitet uns den Vorschlag, es zusammen für die Aufzeichnung zu adaptieren und einfach mal bei so einem Wettbewerb einzureichen, auf den sie gestoßen war und der sich perfekt für unsere Belange zu eignen scheint. Eine kleine Gruppe von Schülern aus der e- und b-Klasse hatten Lust darauf und wir machten uns ans Umschreiben, Proben und filmten schließlich: „Where is Mr Meyer?“, eine nun um viele skurrile Ideen angereicherte Entführungskomödie um unseren Schulleiter persönlich, zu deren Klärung selbstverständlich ein originaler britischer Detektiv, wie er im Lehrbuch steht, konsultiert werden muss—und selbstverständlich erregt eine Angelegenheit von derartiger Bedeutung auch die Aufmerksamkeit der überregionalen Nachrichtensendung News in the Break, welche alle anderen unwichtigen Meldungen (wie die Amtsniederlegung Donald Trumps) zurückstellt, um die Zuschauer von den neuesten Statusupdates zur Krisensituation am AEG in Kenntnis zu setzen. Nach beinharter Investigation von Seiten Detective Emil Bakievs kulminiert die delikate Angelegenheit in einer absurden Enthüllung im Büro des wiederaufgefundenen Herrn Meyer, im Zuge derer wir mehr Persönliches über alle Anwesenden erfahren, als man sich hätte ausmalen können—oder wollen. Es ist ja mehr oder weniger Gang und Gebe, dass sich gerade Komödien für Kinder darin beschließen, dass die Charaktere am Ende über einen miserablen Witz in abstoßend forciertes Lachen einfallen. Das genaue Gegenteil war hier der Fall, denn Jonas brachte seine line intuitiv so einmalig dar, dass alle Anwesenden in unhaltbares natürliches Lachen ausbrachen. Daraufhin schließt sich natürlich die obligatorische Tanzszene an.

Unser Beitrag gefiel der Jury, denn wir erreichten den zweiten Platz in der Landeswertung und qualifizierten uns somit für die Bundesausscheidung. Und mit diesem Erfolg ging der Spaß erst richtig los. Denn freilich sollten wir unsere Detektivgeschichte dort live performen, das heißt, der Film musste wieder in ein Theaterstück umgewandelt werden. Und diese Umwandlung verlieh dem Stück noch eine nicht zu unterschätzende „künstlerische“ Komponente, da in Ermangelung eines Backstagebereichs abgetretene Darsteller mit abgewandtem Gesicht im Freeze am Rand stehen mussten, wir mit einer geteilten Bühne arbeiteten, um Ortswechsel vollziehen zu können und eine Kulisse mit Tischen, Perücken und einem drehbarem Hintergrund in choreographierten Abläufen in Szene setzen mussten.

2017

Unsere Teilnahme war ursprünglich sehr casually motiviert, und erst nach und nach wurde uns klar, wie groß die Konkurrenz eigentlich war: 1199 weitere Teams und insgesamt 7000 Schüler nahmen ebenfalls an diesem Wettbewerb Teil und darunter waren verdammt engagierte Einreichungen. Eine Gruppe—wie in absolut jeder Pressemitteilung erwähnt wird—reiste für diesen Wettbewerb sogar aus Singapur an und ich finde, dieser Aufwand ist sehr vertretbar: Ich sprach davon, dass Wettbewerbe Beachtung und Anerkennung böten, zwei semantisch fein verschiedene Dinge, und hat man es einmal so weit geschafft, ist schon die erste der beiden ein fantastisches Erlebnis. Die Bundesausscheidung fand in Dresden statt und das war ein wunderbares Erlebnis. Dresden hat eine wunderschöne Altstadt und wir verbrachten einen Nachmittag, dort in traumhaftem Sonnenschein hindurchzuflanieren. Max scheiterte an dem ausladendsten und wohl teuersten Eisbecher, den er finden konnte.

Wir brachten unser Stück in der vollen Turnhalle des Romain-Rolland-Gymnasiums und es war schlichtweg aufregend. Der besonderen Atmosphäre wegen, klar, aber vor allem, weil der Weg von unserem Proberaum E1 bis in diese Turnhalle fast 500 Kilometer entfernt ein Sturmlauf gewesen war, in dem es nur vorwärts ging. Die Improvisation ging weiter: Unsere musikalische Unterlegung musste live und im richtigen Moment über einen Original-CD-Spieler aus unserem Lehrerzimmer (man kennt ihn) gesteuert werden, und ja, das war die geschickteste Möglichkeit, denn wie töricht wäre es, darauf zu vertrauen, in der Viertelstunde, die uns zum Aufbauen gegeben ward, ein digitales Gerät mit dieser Soundanlage zu verbinden? Wir hatten am Vortag das erste Mal geübt, das mit Mikros zu spielen und natürlich könnte jeder Zeit jemand den Text vergessen oder seinen Einsatz als Bühnenumbauer verpassen. Doch im Gegenteil: Diese hohe Anforderung, der Adrenalinkick und die Jetzt-oder-nie-Mentalität führten zu unglaublicher Zusammenarbeit und sobald das Stück begann, stellte sich ein Flow-Erlebnis ein. Wir waren Figuren in einer rasante Geschichte, wir waren in Klassenzimmern und Fernsehstudios, wir sprachen zu den Menschen von der dramatischen Situation, ernst darüber, dass Herr Meyer entgegen aller Erwartungen nicht unter seinem Tisch hatte aufgefunden werden können, wir verzweifelten an der Inkompetenz der Ermittlungen, wir ergossen uns in überheblichem Salbadern, wir taten einen schweren Atemzug und gingen den Weg der Wahrheit, wir brachen in zerreißender Reue und sorgenvoller Anspannung—und explodierten in alles lösendem Lachen. Als wir schließlich mit Jailhouse Rock die Bühne rockten, ließ die Stimmung alles andere vergessen. Eine Konsortium erwachsener Menschen, ja „Sprachexperten“ in den Worten des Bundeswettbewerbs, und eine Schülerjury widmen deinem Stück ihre Aufmerksamkeit und bilden sich eine Meinung dazu.

Das Finale des Sprachenfests fand im Boulevardtheater Dresden statt, einem Saal mit gediegenen Sitzen, einer fast schon brutal plötzlich feierlichen Atmosphäre. Auf einem kurzen Facebook-Video, einem der seltenen Überreste des Ereignisses im Internet, kann man uns dort für einen Moment sitzen sehen. Die Zeremonie schien sich ewig in die Länge zu ziehen, unzählige Teams aus unzähligen Bundesländern wurden aufgerufen, und als die hinteren Plätze vorbeizogen, ohne dass wir erwähnt wurden, gaben wir natürlich die Hoffnung mehr oder weniger auf. Der dritte Platz wurde mittlerweile verkündigt und—warte mal, das waren wir! Das war schon sehr surreal, dritter Platz auf Bundesebene, vermutlich sind wir sehr benommen auf die Bühne getapert, um unseren Preis entgegenzunehmen.

Die größte Belohnung (rückblickend betrachtet) stand aber noch aus. Denn zweiter Landessieger waren wir ja auch geworden und auch diesen Preis durften wir noch im Rahmen einer Preisverleihung, diesmal in Heidelberg entgegennehmen. Selbstverständlich sollten sich dafür die beiden Siegerprojekte noch einmal vorstellen. Nun hatte der Erstplatzierte, wir hatten sie im Rolland-Gymnasium getroffen, schon in Dresden leider keine erneute Platzierung erreichen können, und sollte nun seinen Anspruch auch hier nicht wirklich geltend machen können und das lag an einer Reihe unglücklicher Faktoren, die Heidelberg zu einem genauso unvergesslichen Ereignis machten.

Zum einen war da das Medium. Wenn ich mich recht erinnere, drehte sich auch das Projekt der Anderen um eine Entführung. Doch es gab…Unterschiede. Der Landessieger Baden-Württembergs hatte ein Video gedreht, das auch nur in dieser Form funktionierte. Die Vorstellung dieses Siegervideos brachte jedoch ein paar Schwierigkeiten mit sich.
Da war zunächst die Sprache. Das Video war auf Französisch. Und obwohl arguably die kunstvollere Sprache, wenn es darum geht statt einer Jury ein ganz gewöhnliches Publikum zu überzeugen, ist dies mit Englisch deutlich leichter.
Dann war da die Technik. Selbst mit Französischkenntnissen hätte man Landessiegervideo immer noch nicht verstehen—oder überhaupt verfolgen—können, denn das in einer riesigen Turnhalle mit schwachen Farben im gleißenden Sonnenlicht auf eine Leinwand wie in E1 projizierte Bild war immer noch leichter zu erkennen als der immer wieder abbrechende, kaum zu vernehmende Ton aus einem leisen, überforderten Lautsprecher.
Das Kritischste aber war: Entgegen der üblichen Reihenfolge wurde dieses Video vor uns gezeigt. Der Leser muss verstehen: die Heidelberger Zuhörerschaft war zu diesem Zeitpunkt schon durch eine ungelogen halbstündige Reihe Politikeransprachen gegangen, hatte das Aufrufen von ungefähr 30 SOLO-Teilnehmern, von denen manche nicht einmal gekommen waren, erlebt (sowie einen ziemlich guten Monolog der Bösen Hexe des Westens durch eine grün getünchte Teilnehmerin, aber das fiel, was die Stimmung anging, gar nicht einmal mehr ins Gewicht). Die Erwartungen des Publikums waren also wirklich niedrig, und der Wunsch nach Abwechslung wirklich groß.

Unser Stoff nun brachte durch seine Metamorphose vom Stück zum Video und wieder zum Stück schon eine gewisse Vorführungseignung mit und wir brannten darauf, diese Bühne in Anspruch zu nehmen, denn mit jedem Auftritt, mit jeder Neuinterpretation waren wir besser geworden, stimmiger, intuitiver, spielfreudiger. Entsprechend furios war unser Auftritt, der nicht nur die Show stahl, sondern auch die Zuschauer aus dem Schlaf rüttelte und begeisterte.

Noch auf der Bühne teilte uns der Vertreter des Wettbewerbs mit, welch positive Aufnahme unsere Ideen gefunden hätten und dass wir unbedingt einen zweiten Teil drehen sollten. Und das taten wir dann.

2018

Im darauffolgenden Jahr reichten wir einen zweiten Teil der Herr Meyer-Saga ein, wie es sich für ein Sequel gehört, mit einem erweiterten Cast und einer erweiterten Story: Rund um die bekannten Charaktere bricht Chaos aus, denn ein IT-Typ mit dem obligatorischen Namen Johnson, der sauer ist, weil Herr Meyer ihm keinen Auftrag geben wollte, startet einen virtuellen Angriff auf die Schule; Telefone klingeln ununterbrochen und die Schulglocke ertönt pausenlos. Der Stardetektiv ist sofort auf der Spur und News in the Break berichtet. Dieses neue Stück war aufwendiger produziert, länger geplant und sorgfältiger bearbeitet—aber viele dieser Makel hatten den Charme des Vorgängers ausgemacht; ich meine, wir hatten einen a / an-Schreibfehler in den opening credits! Dennoch war dieser neue Film gerade auf einem sprachlichen Niveau ungleich besser als der alte, aber lange nicht so erfolgreich. Wahrscheinlich hatte die Jury nun doch nicht mehr Lust, die gleichen Elemente noch einmal zu sehen, oder sie hatten uns vergessen. Jedenfalls erreichten wir nicht die zweite Runde. Das war zwar enttäuschend, aber nicht entmutigend: Tatsächlich hatten wir noch mehr Gefallen daran gefunden, solche Filmchen zu drehen und wollten weitere Versuche machen, solange man uns ließ.

2019 / 2020

Das bedeutete bis zur 10. Klasse. Nun war klar, dass wir etwas ganz anderes drehen würden. Ideen wurden gesammelt, wilde Ideen, erste Szenen entworfen. Doch so richtig gedeihen wollte nichts und der Einsendeschluss 2019 rückte näher. Da etwas Halbgares wirklich nicht Sinn der Sache wäre, beschlossen wir, bis zur nächsten und letzten Gelegenheit im folgenden Jahr zu warten und uns ordentlich vorzubereiten. Über die Sommerferien und in zahlreichen wundgeschriebenen WhatsApp-Gruppen reifte eine Idee heran, etwas, wovon einige bestimmt schon phantasiert haben: Wir entschieden uns, den Klassiker anzugehen und ein Fremdsprachen-Rapbattle zu schreiben. Anlass ist, dass zwei Schüler vor der Wahl der zweiten Fremdsprache stehen. Das ruft Personifikationen von Latein und Französisch auf den Plan, die sich gegenseitig Dekadenz, Antiquiertheit und Plagiieren zum Vorwurf machen; und ja, man kann Latein ausgesprochen gut rappen. Da stößt Spanisch hinzu und stellt ihrer beider Bedeutung in der modernen Welt grundsätzlich in Frage. Zum Schluss tritt Englisch auf den Plan und nimmt es ebenfalls mit den beiden zur Wahl stehenden Sprachen auf. Die Duellanten werden, soweit es Sprachen möglich ist, persönlich: Sie ziehen Rechtfertigung aus der Geschichte und definieren den anderen über seine Klischees, bedienen sich an Wortspielen und pop culture references von Cato dem Älteren über Shakespeare bis Eminem. Mit der Zeit bemerken sie die Lücken in ihren populistischen Darstellungen und machen Zugeständnisse, bis sie schließlich in einem gemeinsamen Chor zusammenfinden und über sich hinauswachsen, indem sie ihren Konflikt in einer Liebeserklärung für Vielfalt auflösen.

Max hatte dafür ein episches Intro gemixt, für das Video hatten wir einen Baskendarsteller mit gestreiftem Shirt und Baguette organisiert, ein Poster der Popular Front of Judea (splitters) und Kais Mutter hatte sogar eine Toga genäht! Der Zeitdruck war besonders gegen Ende immens, der Dreh chaotisch und am Ende praktisch auf den ersten Versuch, aber dennoch ist es beachtlich, dass wir dieses Projekt über mehr als ein Jahr hinweg zu Ende bringen konnten. Eine Platzierung machten wir zwar unverständlicherweise nicht, ich bin aber froh (und auch ein bisschen stolz) darum, was wir auf die Beine gestellt haben.

Parallel beschloss ich, aus Spaß doch auch einmal den anderen Zweig des BWFS-Baums zu erklettern, den SOLO-Wettbewerb. Das hat großen Spaß gemacht, zumal ich im ersten Teil einfach zwei Minuten vor eine Kamera stellen und quatschen durfte. Gut, ich machte es mir natürlich aufwendiger. Ich versuchte, aus Laken einen weißen Hintergrund zu errichten, ich justierte meinen Notenständer zu einem Stativ um und sammelte eine Menge Requisiten. Mein Thema war letztlich eine Ermahnung zur Vorsicht bei dem Vertrauen, das wir künstlicher Intelligenz schenken. Denn klar, KI ist ausdauernder, fokussierter und akkurater als jeder Mensch es sein könnte; auf einer rationalen Ebene ist es besser, wenn ein operativer Eingriff um Leben und Tod von einem fehlerfreien Roboter vorgenommen wird. Es ist unvergleichlich besser, wenn anorganische Maschinen giftigen Gasen und grausamen Minen ausgesetzt sind—anstelle von mittellosen Arbeitern und kleinen Kindern. Doch der brisante Punkt ist auch gleichzeitig das Kernstück der KI-Forschung: Künstliche Intelligenz soll nicht nur besser können, was wir können, sondern Dinge erreichen, die uns Menschen verwehrt bleiben. In diesem Zusammenhang wird vor allem Gerechtigkeit genannt. Die Idee ist, dass durch den Einsatz von Algorithmen, die keine Vorurteile kennten, Übervorteilung und Benachteiligung beseitigt und eine absolut gerechte Behandlung von Menschen ermöglicht werden könne. Ich habe mich vor diesem Begriff gedrückt: der Wunsch ist Unvoreingenommenheit. Das Problem hier ist nämlich, dass selbstlernende Systeme nicht unvoreingenommen sind, sie sind sogar im Kern ihrer Lernweise voreingenommen, denn der Datensatz, auf den ihre absolut objektive Funktionsweise zugreift, beruht auf den Entscheidungen unzähliger korrumpierter, sozial beeinflusster, vorselektierter, vorurteilbehafteter Menschen. Dieses Dilemma nennt sich algorithm bias und ist eine perfide Sache, denn nun kommt der zweite kritische Aspekt bei der Errichtung der Instanz KI zum Tragen: das Absolut. In der Regel findet der beeinflusste Entscheidungsprozess des Algorithmus in einer black box statt, zu sehen ist dann nur der output, ein Beispiel: Womöglich lehnt ein Algorithmus bei der Vergabe von Stellen grundsätzlich Ältere, people of colour oder Menschen mit Migrationshintergrund ab, einfach weil diese statistisch in der Vergangenheit seltener den Job bekommen haben. Diese Information hinterfragt der Algorithmus nicht, denn er ist absout. Er reproduziert nur. Begegnet man der Arbeit von Künstlicher Intelligenz nun aber mit der Erwartung von Unvoreingenommenheit, ist das fatal. Denn Entscheidungen von Maschinen sind praktisch nicht zu hinterfragen. Und wenn von ihnen Schicksale abhängen, wie, wenn sie wie in den USA Richter unterstützen, ist es fahrlässig und gefährlich, auf KI zu vertrauen.

Grundsätzlich, sah ich im Fazit, birgt KI viele Möglichkeiten und sollte natürlich eingesetzt werden, doch nur da, wo keine moralischen Entscheidungen benötigt werden. Denn noch ist sie dafür nicht bereit. Auch, wenn Menschen fehlerbehaftete, unegeeignete Wesen sind, so kann man sie immerhin verklagen. Darum schloss ich: Innovation und Vertrauen in Fortschritt sind wichtig, „but what about a little bit of thinking, before we commit it to the wire?

Neben diesem Video bestand die Wettbewerbsaufgabe aus einer Sprachklausur über knowledge, comprehension und creative writing, die für meinen Teil des Landes in Biberach stattfand—und es waren auch nur Biberacher dort. Trotzdem eine tolle Sache, für einen Wettbewerb anstatt in die Schule in eine andere Stadt zu fahren.
Darüber hinaus war meine Teilnahme auch im Wettbewerb ein Erfolg und erreichte einen dritten Preis in Baden-Württemberg.

Nach all dieser Zeit bin ich—und spreche sicher auch für den Rest unserer Crew—ziemlich froh, dass uns Frau Becker vor drei Jahren diesen Wettbewerb näher gebracht hat, mit dem wir nun so viele kreative Projekte umsetzen, gemeinsam Ziele bis zur letzten Sekunde vor der Deadline verfolgen und unvergessliche Erfolgserlebnisse haben konnten, die teilweise weit über das zu Erwartende hinausgingen. Und das Schöne ist: Wenn man mit einem Projekt zufrieden ist, weil man es bis zum Ende mit Leidenschaft verfolgt hat, dann ist es—Meinung der Jury hin oder her—immer ein Erfolg.

von Niko Hönig, KS1